Wirtschaftsnobelpreis 1986: James McGill Buchanan

Wirtschaftsnobelpreis 1986: James McGill Buchanan
Wirtschaftsnobelpreis 1986: James McGill Buchanan
 
seine bahnbrechenden Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der ökonomischen Theorie der Politik ausgezeichnet.
 
 
James McGill Buchanan, * Murfreesboro (Tennessee) 2. 10. 1919; 1956-68 Professur an der University of Virginia, 1968-69 Professur an der University of California, 1969-83 Professur am Virginia Polytechnic Institute, seit 1984 Generaldirektor des Center for Study of Public Choice (George Mason University, Fairfax, Virginia); Mitbegründer der Public-Choice-Theorie.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Mit der Zuerkennung des Nobelpreises an James McGill Buchanan wurde 1986 das Werk eines der produktivsten und gleichzeitig am heftigsten umstrittenen Ökonomen und Sozialphilosophen des 20. Jahrhunderts gewürdigt. Auf wenige Vertreter der Zunft trifft wohl die ursprüngliche Bezeichnung für Volkswirte als »Politische Ökonomen« besser zu als auf Buchanan. Obwohl die von ihm maßgeblich entwickelte »Ökonomische Theorie der Politik« (»Public Choice Theory«) in jüngerer Zeit immer mehr Eingang in die Lehrbücher der Volkswirtschaftslehre findet, sieht sich Buchanan selbst auch Jahre nach der Preisverleihung immer noch in der Rolle eines wissenschaftlichen Außenseiters. Dies ist jedoch kaum erstaunlich, versteht sich die Theorie der Public Choice doch als eine Fundamentalkritik an den Vertretern der traditionellen Wirtschaftswissenschaften.
 
 Vom Sozialisten zum Marktwirtschaftler
 
Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften und dem Einsatz als Offizier in der US-Marine während des Zweiten Weltkriegs absolvierte er an der Universität von Chicago das Promotionsverfahren. Sein dortiger akademischer Lehrer war Frank Knight, dessen Ausbildung einige äußerst prominente Ökonomen hervorgebracht hat. Knight machte aus dem nach eigenem Bekunden eingefleischten Sozialisten Buchanan innerhalb von nur sechs Wochen einen nicht minder überzeugten Anhänger der Marktwirtschaft. Buchanan wurde zu einem engagierten Kämpfer gegen öffentliche Regulierungen, wachsende Staatsausgaben, zunehmende Steuerbelastung und ausufernde Staatsdefizite, in denen er eine fundamentale Bedrohung der individuellen Freiheit sieht.
 
Kurz nach Abschluss seiner Doktorarbeit 1948 stieß Buchanan in der Universitätsbibliothek auf eine nahezu unbekannte, im Jahr 1896 erschienene Abhandlung des großen schwedischen Ökonomen Knut Wicksell (1851-1926). Die Wirtschaftswissenschaftler sollten danach aufhören, bei der Ausarbeitung ihrer Theorien und bei Ratschlägen für die Politiker so zu tun, als ob die staatlichen Akteure nur das gesellschaftliche Gesamtwohl im Auge hätten. Vielmehr müsse man davon ausgehen, dass die Amtsträger wie alle anderen Menschen primär egoistisch und eigennutzorientiert handeln. Das Eigeninteresse der politischen Akteure sei aber vor allem auf die Ausdehnung des staatlichen Einflussbereichs gerichtet.
 
Die Botschaft dieses Texts fiel bei Buchanan auf fruchtbaren Boden. Eine Hauptaufgabe der Ökonomen, so meinte er, sei es deshalb zu untersuchen, wie die Regeln der Entscheidungsfindung in der Demokratie reformiert werden können, damit die Regierungen einen stärkeren Anreiz verspüren, im Interesse der Bevölkerung zu handeln. Buchanan wendet sich als Ökonom damit einem Betätigungsfeld zu, das bis dahin den Politikwissenschaftlern, Sozialphilosophen und Juristen vorbehalten war. Im Mittelpunkt steht der Entwurf einer »Verfassung der Wirtschaftspolitik«, die den Politikern und Bürokraten in ihrem Handeln Fesseln anlegt, um eine schleichende Abkehr von den marktwirtschaftlichen Ordnungsprinzipien durch einen alles regulierenden Staat zu verhindern. Diese Überlegungen durchziehen seine Arbeiten aus fünf Jahrzehnten wie ein roter Faden.
 
Bereits in den 1950er-Jahren legt Buchanan in mehreren Aufsätzen das Fundament für sein erstes Hauptwerk »The Calculus of Consent« (1962; englisch; Das Kalkül des Konsenses), das er gemeinsam mit seinem Kollegen Gordon Tullock verfasst. Buchanan und Tullock entwickeln in diesem Buch eine ökonomische Theorie der Staatsverfassung, die den Ansprüchen an das liberale Leitbild der individuellen Freiheit genügt. Ausgangspunkt ist die etwas eigentümlich anmutende Frage, auf welche Regeln der demokratischen Entscheidungsfindung sich rationale Individuen in einer Art Verfassungsvertrag (»konstitutionelle Phase«) einstimmig einigen könnten, wenn sie hinter einem »Schleier des Nichtwissens« keine Kenntnis davon haben, ob sie später (»post-konstitutionelle Phase«) von den festgelegten Regeln persönlich profitieren oder nicht. Dahinter stehen zwei zentrale Überlegungen: Erstens kann nur der freiwillige Konsens aller Individuen sicherstellen, dass niemandem eine Regel aufgezwungen wird, von der er auf Dauer Nachteile erwartet. Zweitens sorgt die Unsicherheit über die individuellen Konsequenzen dafür, dass nur allgemein akzeptierte, faire Lösungen anerkannt werden, da ja jeder Beteiligte kalkulieren muss, bei Festlegung einer unfairen Regel später permanent zu den Benachteiligten zu gehören. Buchanan und Tullock kommen dabei zu einem provozierenden Ergebnis: Die in Demokratien weit verbreitete Mehrheitsregel erweist sich bestenfalls zufällig als fair. Zum Schutz der individuellen Freiheit wäre es ideal, wenn alle kollektiven Entscheidungen nur noch einstimmig getroffen würden. Dies führt jedoch zu hohen gesellschaftlichen Kosten, weil politische Prozesse in der post-konstitutionellen Phase blockiert werden. Die Anwendung der Mehrheitsregel ermöglicht dagegen schnelle Entscheidungen, führt aber ebenfalls zu erheblichen sozialen Kosten, weil es einzelnen Gruppen gelingen kann, für viele Menschen nachteilige Beschlüsse durchzusetzen.
 
1975 veröffentlicht Buchanan »Die Grenzen der Freiheit«, wo er die Gedanken über die Inhalte eines Verfassungsvertrags weiter entwickelt. Er argumentiert, dass aus freiheitlicher Sicht die Anarchie ein anzustrebendes Ideal sei, dass aber ohne den Staat, der individuelle Rechte vor dem Zugriff Dritter schützt, die Anarchie nur unproduktives Chaos bedeutet. Übertragen die Bürger dem Staat jedoch unbeschränkte hoheitliche Befugnisse, sehen sie sich alsbald einem ausbeuterischen »Leviathan« ausgeliefert. Buchanan zeigt, dass sich rationale Individuen auf eine Staatsverfassung einigen würden, die den Staat zwar befähigt, die Anarchie zu verhindern, ihn aber gleichzeitig so beschränkt, dass er nicht zur Bedrohung der Bürger wird. Das von Hobbes entliehene Bild des Staates als »Leviathan« steht auch im Mittelpunkt von »Besteuerung und Staatsgewalt« (1980), ein zusammen mit Geoffrey Brennan geschriebenes Buch. Darin werden die Prinzipien einer Finanzverfassung entworfen, die die Bürger vor der von Buchanan identifizierten unersättlichen Gier des Staates nach höheren Steuereinnahmen schützt. In »Die Begründung von Regeln« (1985), ebenfalls gemeinsam mit Brennan verfasst, weitet Buchanan die Argumentation auf zahlreiche andere Aspekte des staatlichen Handelns aus. Insbesondere findet sich dort auch die wissenschaftliche Begründung eines verfassungsmäßigen Verbots der Staatsverschuldung.
 
Die moderne Demokratie, so der Tenor in fast allen Werken Buchanans, erweist sich allein als ein ungeeignetes Mittel, um den Expansionsdrang des Staates einzudämmen. Diese Skepsis gegenüber der Wirksamkeit der demokratischen Kontrolle führte auch zu der — völlig unhaltbaren — Unterstellung, Buchanan habe eine antidemokratische Gesinnung. Das Gegenteil ist der Fall. Buchanan geht es in seinen Arbeiten immer darum aufzuzeigen, dass demokratische Regeln allein nicht ausreichen, um die Freiheit der Bürger zu sichern. Sie müssen durch weitreichende verfassungsmäßige Begrenzungen der Staatsgewalt ergänzt werden.
 
H. Pitlik

Universal-Lexikon. 2012.

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